Donnerstag, 27. Oktober 2011

Darstellung der therapeutischen Arbeit mit Kultmitgliedern bzw. -Aussteigern anhand eines Drei-Stufen-Modells

von Dipl.-Psych. Dieter Rohmann

(Veröffentlicht als Originalmaterial im "Report Psychologie 5,6/2000")



Unter "Andere Klinisch Relevante Probleme" lässt sich im DSM-IV die Kategorie V62.89 (Z71.8) "Religiöses oder Spirituelles Problem" mit folgender Kurzbeschreibung finden: "Diese Kategorie kann verwendet werden, wenn im Vordergrund der klinischen Aufmerksamkeit ein religiöses oder spirituelles Problem steht. Beispiele sind belastende Erfahrungen, die den Verlust oder das Infragestellen von Glaubensvorstellungen nach sich ziehen, Probleme im Zusammenhang mit der Konvertierung zu einem anderen Glauben oder das Infragestellen spiritueller Werte, auch unabhängig von einer organisierten Kirche oder religiösen Institution".
Der "Verlust oder das Infragestellen von Glaubensvorstellungen" geht in der Regel mit dem Ausstieg aus einer religiösen Glaubensgemeinschaft, einer sog. Sekte, einem Kult oder einer neureligiösen Gruppierung einher. Hier soll nun dargestellt werden, wie eine effektive einzeltherapeutische Kurzbegleitung (5-20 Sitzungen) von Kultmitgliedern bzw. -aussteigern in der Praxis aussehen könnte.

Es gibt unterschiedliche Wege eine sog. Sekte oder einen Kult zu verlassen:

  • aufgrund eigener, negativer Erfahrungen und/oder dem Wahrnehmen einer Diskrepanz zwischen Lehre und tatsächlichem Handeln,
  • durch Ausschluss aus der Gemeinschaft von Seiten der Leitung oder
  • durch Gespräche und Informationsaustausch mit Angehörigen, Freunden bzw. professionellen Beratern.
Jeder dieser Wege aus einem Kult/einer Sekte ist jedoch mit einigen typischen Problemen und Symptomen verbunden, die von Person zu Person variieren und u.a. abhängig sind von der Dauer der Mitgliedschaft und der Position, die das Mitglied dort inne hatte. Die folgenden Symptome (Giambalvo, 1993) sind in der Regel unmittelbar mit einem Kultaustritt verbunden und stehen deshalb auch primär im Vordergrund der Aufmerksamkeit:

Schuldgefühle, eingeschränkte Entscheidungsfähigkeit, Perspektivlosigkeit, Sorge und Trauer, Wut und Ärger, Furcht und Angst, Isolationsempfindungen, Misstrauen, die Tendenz zu verabsolutiertem dichotomen Denken, dissoziative Zustände, das Gefühl überflüssig und wertlos zu sein, sog. Floatingerlebnisse, Schlafstörungen und Alpträume, Familien- und berufliche Probleme, Entfremdungsgefühle, Depressionen etc.. Der Allgemeinzustand nach einem Austritt kann als kritisches Lebensereignis, als Krise verstanden werden; anschaulich beschreibbar mit den Worten: Nicht mehr - noch nicht. Um Kultmitglieder bzw. Kultaussteiger nun adäquat begleiten zu können, sollten nach einer gründlichen Anamnese und Diagnostik * folgende drei Stufen der Reihe nach durchlaufen werden.

In der Stufe I geht es vorwiegend um die Vermittlung von Hintergrundinformationen der jeweiligen Bewegung, wie Kultideologie, - hierarchie und -alltag sowie um einen Austausch zu spirituellen, religiösen, philosophischen, aber auch politischen Themen etc.. Dazu ist es für den Beratenden/die Beratende notwendig zu ermitteln, mit welcher Kultkategorie er/sie es eigentlich zu tun hat (christlich-fundamentalistische Gruppierung, Gurubewegung, Psychokult oder esoterische Bewegung).
Zudem sollte er/sie sich Kenntnis über den spezifischen Kult und dessen religiöse/ spirituelle Ausrichtung aneignen. Er/sie sollte verstehen lernen, welche absolut verbindliche
Wertewelt der entsprechende Kult geschaffen hat, was im Kult als erwünschtes bzw. unerwünschtes Verhalten definiert und wie von der Ideologie/Doktrin abweichendes Verhalten sanktioniert wird. Hierbei spielt auch das Konzept der sozialen Erwünschtheit eine Rolle, zumal es in Kulten absolut verbindliche Normen über gutes Verhalten oder positive Eigenschaften gibt. Die meisten Kulte argumentieren im Rahmen eines verabsolutierten, dichotomen Denkens im Sinne von entweder - oder, schwarz - weiß, gut - böse, drinnen - draußen. Die Regenbogenfarben zwischen schwarz und weiß können schließlich nicht mehr wahrgenommen werden; für Zwischentöne und Schattierungen findet sich kein Platz mehr. Von besonderer Bedeutung ist deshalb auch das Wissen darüber, welche persönlichen, negativen Folgen - laut Prophezeiung des Kultes - ein Austritt nach sich zieht. Als Folge dieser extremen, kognitiven Ausrichtung kann bei Kultmitgliedern im Laufe der Zeit eine sog. Ausstiegsphobie entstehen. Findet dennoch ein Ausstieg statt, lassen sich folglich o.g. Symptome in unterschiedlicher Form und Intensität beobachten.


In Stufe II sollte die Theorie der Bewusstseinskontrolle von Lifton (1963) erklärtsowie auf verschiedene sozial- bzw. wahrnehmungspsychologische Theorien näher eingegangen und auf den betreffenden Kult übertragen werden. Von Bedeutung sind hier z.B. die Theorien der Konformität nach Asch (1956), des Locus of Control (Rotter, 1966), der Attribution (Weiner, 1974), der Kognitiven Dissonanz (Festinger et al., 1956), der Forced Compliance (Festinger & Carlsmith, 1959), der erlernten Hilflosigkeit (Seligman, 1975), der Gehorsamkeitsbereitschaft gegenüber Autoritäten (Milgram, 1974), der Deindividuation (Zimbardo, 1969), der Self Fulfilling Prophecy (Merton, 1948) und der selektiven Wahrnehmung (Hernandez-Peon, 1966).
Das Erklären und Darstellen dieser Theorien trägt u.a. dazu bei, dass dem Klienten bewusst wird, in welchem Ausmaß wir alle - abhängig vom jeweiligen Kontext - entscheiden, wahrnehmen, getäuscht oder manipuliert werden bzw. uns täuschen lassen oder Manipulation zulassen. In Stufe II wird für den Klienten in anschaulicher Weise nachvollziehbar, dass es zum einen beinahe jedem passieren könnte - unter bestimmten Voraussetzungen - den Verheißungen eines Kultes Folge zu leisten, und es zum anderen durchaus nicht selbstverständlich ist, Indoktrinationsmechanismen ohne weiteres zu erkennen und als solche zu durchschauen. In dieser Phase wird auch seine/ihre Rolle und das eigene Engagement im Kult erneut schmerzhaft bewusst.
Beide dieser Stufen tragen dazu bei, das im Kult Erfahrene zu verstehen, erklären und verarbeiten zu können. Die mit einem Ausstieg unmittelbar verbundenen o.g. Symptome und Probleme können hier in der Regel vollständig be- und verarbeitet werden.

In Stufe III werden nun Motive und prädisponierende Faktoren analysiert, die für die Einmündung in den jeweiligen Kult verantwortlich gewesen sein könnten. Spätestens jetzt möchte der Klient/die Klientin erkennen, warum gerade er/sie diesen Weg eingeschlagen hat und warum es ihm/ihr nicht früher möglich war "Nein" zu sagen und einfach zu gehen.
Hier geht es um Themenbereiche, die für den Klienten vor dem Kulteintritt von Bedeutung waren, wie frühere Verletzungen, Verlusterlebnisse, Ängste, Familie, Partnerschaft, Freundschaften, Emotionen, Einsamkeit, Sexualität, Kommunikation, Frustration, Selbstwert, Selbst- und Fremdwahrnehmung, Unsicherheit, Zukunftsorientierung, Abhängigkeit, Autonomie, Einstellungen, Erwartungen etc..

Eingeleitet werden kann diese Stufe z.B. mit folgenden Fragestellungen:
  • "Welche Wünsche, Träume und Sehnsüchte hatten Sie vor dem Kulteintritt?"
  • "Welche Ängste, Verletzungen und Enttäuschungen haben Sie damals erfahren?"
  • "Warum glauben Sie, waren Sie so empfänglich für die Ideologie etc. Ihres Kultes?"
  • "Warum glauben Sie, diesen Rahmen gebraucht zu haben?"
  • "Wonach haben Sie eigentlich gesucht?"
  • "Haben Sie das, was Sie ursprünglich suchten, gefunden?"
  • "Warum haben Sie so lange damit gewartet, Ihre Bewegung zu verlassen?"
  • "Was hat Sie letztendlich dazu befähigt, Ihren Kult zu verlassen?"
  • "Konnten Sie vor Ihrer Kulterfahrung nein sagen?"
Stufe III ist deshalb von besonderer Relevanz, weil im psychotherapeutischen Setting immer wieder deutlich wurde, dass zusätzlich zu den Problemen, die einen Austritt unmittelbar begleiten, auch die belastenden Themenkomplexe aus der Präkultphase, dem Leben vor dem Kult, erneut aktuell werden. Es hat sich in der Praxis immer wieder gezeigt, dass diese Problemkreise während der Mitgliedschaft lediglich "auf Eis gelegt" waren und erst mit dem Ausstieg wieder ganz konkret aktuell wurden.

Immer wieder haben sich in der Vergangenheit ehemalige Kultmitglieder (zwischen 1-8 Jahre nach ihrem Ausstieg) mit der Bitte um Beratung an mich gewandt. All diese Aussteiger hatten unmittelbar nach ihrem Ausstieg Hilfe in Anspruch genommen. Die meisten wandten sich an die Beauftragten für Weltanschauungsfragen der beiden Amtskirchen, an diverse Sekten-Beratungsstellen, an Psychologen oder berichteten von einem Psychiatrieaufenthalt. Erstaunlicherweise hatten die Aussteiger trotz dieser durchaus professionellen Begleitung noch Jahre danach ihre Kulterfahrung nicht verarbeitet und berichteten noch immer von unterschiedlichsten Störungen, die mit ihrer damaligen Mitgliedschaft und dem Ausstieg in engem Zusammenhang standen. Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass sich herkömmliche Beratungsstellen in ihrer Arbeit mit Kultmitgliedern bzw. -aussteigern vorwiegend auf Inhalte der Stufe I und evtl. auf Teile der Stufe II beschränken, und im psychotherapeutischen Setting hauptsächlich mit Stufe III und evtl. mit Teilen der Stufe II gearbeitet wird. Die Vermutung liegt nahe, dass die isolierte Bearbeitung einzelner Stufen unmittelbar nach einem Kultaustritt zwar hilfreich ist und als unterstützend erlebt wird, jedoch für eine langfristige und dauerhafte Verarbeitung des Erlebten nicht ausreichend zu sein scheint. Nach meiner Erfahrung ist beim Klienten erst dann die Bereitschaft dafür geschaffen sich überhaupt intensiv auf Stufe III einlassen zu können, wenn die Stufen I und II nacheinander durchlaufen und inhaltlich verstanden wurden. Aber erst durch Stufe III kann es dem Klienten gelingen, sowohl sich selbst zu vergeben, als auch eine sich selbst-akzeptierende Haltung für den weiteren Lebensweg zu entwickeln. - Nicht der Riese seiner/ihrer Träume zu sein, aber auch nicht der Zwerg seiner/ihrer Ängste.

Die evaluative Erfahrung dieses Modells basiert derzeit ausschließlich auf Aussagen zahlreicher Klienten und auf Verhaltensbeobachtungen. Als äußerst ermutigend hat sich in der Vergangenheit zudem die ständige Therapieverlaufskontrolle erwiesen. Leider stehen derzeit empirische Belege für die Wirksamkeit des Drei-Stufen-Modells in der Arbeit mit Kultmitgliedern bzw. -aussteigern noch aus.


Zusammenfassung
Anhand des Drei-Stufen-Modells soll eine adäquate Vorgehensweise in der psychotherapeutischen Arbeit mit Kultmitgliedern bzw.-aussteigern dargestellt werden. Die unmittelbar mit einem Kultausstieg verbundenen Symptome - vergleichbar mit der Spitze eines Eisbergs - können im Wesentlichen innerhalb der Stufen I und II bearbeitet werden. Der größere und nicht-sichtbare Teil des Eisbergs befindet sich unter der Oberfläche und kann, erst nachdem Stufe I und II durchlaufen wurden, innerhalb der Stufe III bearbeitet werden.
Die jahrelange Erprobung dieses Interventionsansatzes zeigt, dass erst dann, wenn alle diese drei Stufen - von oben nach unten - durchlaufen wurden, der Klient/die Klientin dazu befähigt werden konnte seine/ihre Kulterfahrung zu verstehen und zu verarbeiten, um schließlich zu einer selbst-akzeptierenden Grundhaltung zu gelangen.
 
 

*z.B. mit Hilfe des Gießen-Test (GT) von Beckmann, Brähler & Richter (1990), des IPC-Fragebogens zu Kontrollüberzeugungen von Krampen (1981) und des Fragebogens irrationaler Einstellungen (FIE) von Klages (1989).





Literaturverzeichnis
American Psychiatric Association. (Hrsg.). (1998). Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen. DSM IV (2., verbesserte Aufl.).Göttingen: Hogrefe.
Ash, S.E. (1956). Studies of independence and conformity. A minority of one against a unanimous majority [Themenheft]. Psychological Monographs, 70.
Beckmann, D., Brähler, E. & Richter H.-E. (1990). Der Gießen-Test (GT) (4., überarbeitete Aufl.). Bern: Verlag Hans Huber.

Festinger, L., Riecken, H.W. & Schachter, S. (1956).
When prophecy fails. New York: Harper & Row.

Festinger, L. & Carlsmith, J.M. (1959). Cognitive consequences of forced compliance. Journal of Abnormal and Social Psychology, 58, 203-210.

Giambalvo, C. (1993). Post cult problems. An exit counselor´s perspective. In M.D. Langone (Hrsg.), Recovery from cults. New York: Norton & Company.

Hernandez-Peon, R. (1966). Physiological mechanisms in attention. In R.W. Russel (Hrsg.), Frontiers in physiological psychology. New York: Academic Press.
Klages, U. (1989). Fragebogen irrationaler Einstellungen (FIE). Göttingen: Hogrefe.

Krampen, G. (1981). IPC-Fragebogen zu Kontrollüberzeugungen. Göttingen: Hogrefe.

Lifton, R.J. (1963).
Thought reform and the psychology of totalism. New York: Norton & Company.

Merton, R.K. (1948).The self-fulfilling prophecy. The Antioch Review, 8, 193-210.

Milgram, S. (1974). Obedience to authority. New York: Harper & Row.

Rotter, J.B. (1966). Generalized expectancies for internal versus external control of reinforcement [Themenheft].
Psychological Monographs, 80.
Seligman, M.E.P. (1975). Helplesness. On depression, development and death. San Francisco: Freeman.
Weiner, B. (Hrsg.). (1974). Achievement motivation and attribution theory. Morristown: General Learning Press.
Zimbardo, P.G. (1969). The human choice. Individuation, reason, and order versus deindividuation, impulse and chaos. In W.D. Arnold & D. Levine (Hrsg.), Nebraska symposum on motivation. Lincoln: University of Nebraska Press.



Dienstag, 25. Oktober 2011

TANTRA-Induziertes Wahnhaftes Syndrom ("TIWS")

von Charles Carreon,
übersetzt von Marte-Micaela Riepe

TIDS: Tantra-Induced Delusional Syndrome 





Zusammenfassung
Unter klinischer Betrachtung wird eine zunehmende Manifestation von  akuten und chronisch wahnhaften Vorstellungen bei Praktizierenden tantrischer Methoden beobachtet und es wird eine neue Diagnose für das DSM-V vorgeschlagen: Tantra-Induziertes Wahnhaftes-Syndrom ("TIWS").

Derzeit ist die Begeisterung für Tantra unter den Profis im Gesundheitssystem hoch, welche alternative analytische und therapeutische Modelle suchen, und ein kritisches Bewusstsein ist entsprechend gering. Dieser Artikel, nicht verfasst  von einem psychologischen Therapeuten oder Psychiater, sondern von einem Rechtsanwalt mit umfangreicher Erfahrung in tantrischen Lebensstilen, konzentriert sich auf die Fallgeschichten von drei amerikanischen tantrischen Lehrern, die zerstörerisches wahnhaftes Verhalten manifestieren.

Er zeigt den Risiko fördernden Charakter der tantrischen Lehre als ätiologische Wurzel ihrer Pathologie, überlegt, wie wahnhafte Pathologie sich auf den tantrischen Schüler überträgt und beschreibt die soziale Dynamik der Guru-dominierten Gemeinden als potenzieller Brutstätten für sich selbst verstärkendes wahnhaftes Verhalten. Der Artikel schlägt drei Arten von TIWS vor, "Guru-Seite", "Schüler-Seite" und "Übertregendes-Syndrom" und stellt mögliche Behandlungsformen vor.


Tantra, ein Risiko-fördernder spiritueller Weg
Tantra stammt aus Indien, aus einem nicht genau definierten Zeitraum im zweiten Jahrtausend v. Buddha, und ist entstanden als ein spiritueller Weg, der fast alle indischen Religionen, einschließlich der vedischen, der jainistischen und der buddhistischen Traditionen durch eine bunte, phantasievolle Charakteristik beeinflusst hat. Sobald Tantra eine spirituelle Suche berührt, ist diese unwiderruflich in einen Pfad verwandelt, der die Tugenden der Risikobereitschaft preist und der sich konzentriert auf die Gewinnung solcher Studenten, die Lust auf Dramatik und Spannung haben.

Buddhistisches Tantra hat wenig Ähnlichkeit mit den ursprünglichen Lehren des Buddha, der in Lumbini geboren ist, in Bodhgaya erleuchtet wurde und der die weltweit größte und dauerhafteste klösterliche Gemeinschaft gründete. Der ursprüngliche Buddhismus engagiert sich in einfachen Meditationsübungen, um den Geist klar und die Leidenschaften ruhig zu halten, während im tibetischen Vajrayana die Anhänger magische Rituale ausüben, in denen sie eine "Schutzgottheit" durch den Einsatz eines "Wurzel-Mantra" rufen und die sich selbst erkennen als "Emanationen" dieser göttlichen Wesen, die ihren Wohnsitz in einem alternativen Universum haben, in einem „Reinen Land“, wo alle Töne  göttliche Mantras sind und alle Gedanken göttliche Weisheit.
Obwohl  Buddha den Guru-Status abgelehnt hat und seinen Anhängern riet, an ihrer eigenen Erleuchtung mit Fleiß zu arbeiten, verehren Vajrayana-Buddhisten  ihre Gurus auf extravagante Weise, indem sie sie buchstäblich für unfehlbar halten und für wichtiger als den historische Buddha.

Da es sich bei den Manifestationen des Tantra immer um fraglos hinzunehmende handelt,  wirkt Tantra  auf der Grundlage von Postulaten, nicht auf der Grundlage von Introspektion oder subjektiver Beobachtung. Folgende  Postulate machen den tantrischen Weg attraktiv für spirituell Suchende:
          
1. Das Wesen der alltäglichen Existenz ist göttlich;
          
2. Die göttliche Natur ist durch die Leidenschaften verborgen;
          
3. Die Weisheit wird durch Verwandlung der Leidenschaften enthüllt;
          
4. Der Guru hat die Macht, die Leidenschaften zu verwandeln, und
          
5. Die Ablehnung des Gurus Gnade (englisch: grace) ist der Weg zur Selbstzerstörung.


Leidenschaften im Sinne dieser Postulate sind alle emotionalen und intelektuellen Verzerrungen des "klaren Bewusstseins", einschließlich der inneren Bindung an die eigene Selbst-Identität. Wenn also den Anfängern  ein dualistischer, Entweder-oder-Weg zur Erleuchtung präsentiert wird, ist die Tür zu gefährlichen Missverständnissen weit geöffnet. Ironischerweise ist der tantrische Weg oft attraktiver für solche, die Risiken eingehen, durch die offene Aussage, dass er gefährlich ist, wie ein steiler Aufstieg auf eine Klippe, im Vergleich zu dem langsamen und stetigen Aufstieg, den langweilige Schüler verfolgen. 


Lehrer und Schüler beeinflussen sich gegenseitig
Im heutigen Amerika wird Tantra häufig von tapferen Anfängern gelehrt, die durch traditionelle tantrische Lehrer geschult wurden, welche begierig danach sind, neuen Boden für ihre Doktrin zu finden. Angesichts der Möglichkeit, den Guru zu spielen und die Schüler für ihre Zwecke zu missbrauchen, erliegen viele dieser neu herangezogenen Lehrer der ersten Gefahr, vor der ernsthafte tantrische Lehrer warnen - der Verführung zur weltlichen Macht. Schüler, die angefangen haben als bohemienhafte Rebellen und Nonkonformisten, geraten nun leicht unter den Bann des tantrischen Lehrers, der umher stolziert wie ein Zauberkünstler für schnelle Dollars, eine tough-guy Persönlichkeit übernimmt und  einen Hauch von the-devil-may-care , also soviel wie „der Teufel soll mich holen“ verströmt.
Anm. der Übersetzerin: Wieso denke ich dabei immer an Ole Nydahl und seine männlichen Epigonen?

Ironischerweise könnten sie sich bald in den Fängen einer Psychologie befinden, die Stammgästen der Sado-Maso-Szene vertraut sein dürfte.

Moderne tantrische Lehrer beginnen damit, ein "Mandala“, einen Kraftkreis von solchen Studenten zu magnetisieren, zu faszinieren, die ihre eigenen individuellen Gründen haben, den Glauben zu übernehmen und die dann den Glauben verbreiten, dass sie in Kontakt mit einem echten tantrischen Guru sind. Sobald eine ausreichende kritische Masse an Studenten den Glauben angenommen hat, setzt sie einen Strudel von sich selbst verstärkendem Verhalten in Gang, das die psychologische Anziehungskraft eines schwarzen Lochs ausübt, und saugt eine große Anzahl von gefährdeten Seelen an.

Die Gemeinschaft von durch „Schüler-Seite TIWS“ Betroffenen verstärkt gegenseitig ihre geistige Versklavung durch ein gemeinsames, sich selbst erhaltendes und perpetuierendes Wahnsystem. Manager auf dem mittleren Level solcher Gemeinschaften leiden in erst Linie an einem "Übertragungs- TIWS“, einem angespannten Zustand zwischen abwechselndem Stolz, einer Gemeinschaft von Insidern anzugehören und der Angst vor Bloßstellung und Demütigung.  Und an der Spitze dieser Pyramide des Elends sitzt der Wucherer dieses Systems, versunken in dem psychotischen Vergnügen des "Guru-Seite TIWS".


Guru-Seite TIWS
Dieser Artikel, der nur ein vorläufiger Ausflug in ein viel versprechendes Gebiet der diagnostischen Forschung ist, bietet drei Fallstudien als Basis für unsere Hypothese, dass Guru-Seite TIWS eine besondere psychische Störung ist, am Beispiel von Thomas Rich (Ösel Tendzin), Catherine Burroughs (Jetsunma ) und Franklin Jones (Adi Da Samraj). Wie diese Fälle zeigen, ist Guru-Seite TIWS definitiv eine verbrecherische, antisoziale Pathologie, die manchmal kriminelle Ausmaße annimmt und  zu verheerenden Folgen führt.

Thomas Rich
Rich Aufstieg zum Status eines tantrischen Gurus wurde von seinem eigenen tantrischen Lehrer gefördert, dem einst legendären Enfant terrible des tibetischen Buddhismus, Chögyam Trungpa. Trungpa, der Autor von "In Tibet geboren" und vieler anderer Bücher, wurde in seiner frühen Kindheit als elfter Trungpa Tulku vom Surmang Kloster in einer abgelegenen Region von Tibet inthronisiert. Trungpa gründete die Vajradhatu-Organisation in Boulder, Colorado, und vor seinem Tod bestimmte er Rich zu seinem Vajra-Regenten im Falle seines Todes, bis zur Auffindung der zwölften Inkarnation des Trungpa Tulku.
Trungpa selbst war ein berühmter Säufer und Frauenheld, sowie ein begabter Dichter und eine faszinierende Persönlichkeit. Rich versuchte, sich ähnlich verhalten. Tragischerweise litt Rich nicht nur an Guru-Seite TIWS, sondern auch an AIDS. Nicht lange nach Trungpas Tod begann er eine Reihe von sexuellen Eskapaden und hatte ungeschützten Sex mit mehreren Schülern. Der Grund? Durch die von TIWS verursachten Wahnvorstellungen glaubte Tendzin, dass seine Körperflüssigkeiten die Krankheit nicht übertragen könnten. Als Folge davon starben mindestens ein Student und seine Partnerin an dem tödlichen Virus.

Das Verhalten Richs den Studenten gegenüber war ebenso verwerflich und wirft ein grelles Licht auf das Verhalten von Opfern des Übergangs-TIWS , nämlich der Manager auf dem mittleren Level der dysfunktionalen Vajradhatu Dynastie. Obwohl viele der engsten Schüler Trungpas  Schriftsteller und Künstler waren, darunter der berühmte Dichter Alan Ginsberg, und die Vajradhatu eine eigene Zeitung hatte, The Vajradhatu Sun, wurde die ganze Angelegenheit um die AIDS-Todesfälle vertuscht und nie offen von den Sektenführer diskutiert. Richs persönliches kriminelles Fehlverhalten wurde gedeckt und rechtlicher Schutz vor den Klagen der Opfer wurden durch eine gesellschaftsrechtlichen Reorganisation gewährleistet, das Trungpa-Vermächtnis wurde heruntergespielt und der Name des Kultes von Vajradhatu in Shambhala verändert. In ihrer Biografie hat Trungpas Frau behauptet, Trungpa bereute die Ernennung Richs zu seinem Regenten, sie scheiterte aber mit ihren Maßnahmen, ihn zu entmachten. Da Trungpa, durch Alkoholismus geprägt, kaum in der Lage war, sich ohne fremde Hilfe am Ende seines Lebens zu behelfen, ist es nicht verwunderlich, dass er nicht in der Lage gewesen ist, die Zeitbombe, die er auf seine Schüler losgelassen hatte, zu entwaffnen. Ein Mann namens Patrick Sweeney frisst weiterhin das wiedergekäute Futter des in Ungnade gefallenen Regenten, macht sich zum seinem "Dharma Erben" und führt den Betrieb der Satdharma Gruppe unter diesen fragwürdigen Vorzeichen weiter.

Catherine Burroughs
Catherine Burroughs begann ihre Karriere als eine Spielart eines psychischen Medium, das angeblich als "Kanal" galt für die Geister der Lehrer, die vor langer Zeit diese Erde verlassen hatten, und für deren Weisheit. Sie operierte aus ihrem suburbanen Schlupfloch in der Nähe von Washington, DC, und sie zapfte die manische Energie der überehrgeizigen Technokraten und hyperaktiven Kommunikatoren an, die umher wimmelten im bürokratischen Kaninchengehege der Hauptstadt der Nation. Ausgestattet mit einem Händchen dafür, Befehle zu erteilen, stellte Burroughs hohe Anforderungen an ihre Anhänger, zwang sie in eine 24stündige Mahnwache für den Frieden in der Welt und induzierte starkes Konkurrenzverhalten unter ihren Anhängern.

Burroughs 'Transformation zur Guru wurde auch mit Hilfe eines tibetischen Lamas erreicht, der begeistert war von ihrer Fähigkeit, eine stabile hohe Leistungen zu erzielen, indem sie Top-Dollar-spendende Studenten auftreiben konnte. Gyatrul Rinpoche, ein Vajrayana- Lehrer der Nyingma-Sekte, der seinen eigenen Tempel in der Nähe von Ashland, Oregon gegründet hatte, ernannte Burroughs zum Tulku, einem wiedergeboren Bodhisattva, oder zur "Heldin der Erleuchtung“. Burroughs sah die Chance, und schnell vollzog sie eine Fusion zwischen ihrer Art des Umgangs mit Menschen und dem etablierten Gütesiegel der zweitausend Jahre alten Vajrayana- Marke, maßte sich den Namen Jetsun Akhon Norbu Lhamo an und renovierte ihren Tempel in einer Mischung aus traditionellen tibetischen Bildern und New Age Kristallen. "Jetsunma", wie sie genannt wurde, nahm ihren Platz auf dem traditionellen Lama-Thron ein, zog strahlende Brokat-Gewänder an und trug als Höhepunkt den "Lotus-Hut", den Lamas bei offiziellen Anlässen tragen. Der Effekt wäre komisch gewesen, wenn irgend jemand in der Lage gewesen wäre, mit normalem Empfinden das Alles zu betrachten, aber die bis dahin an der Studenten-Seite-TIWS Erkrankten hatten eine Aura eines trügerische Glanzes erzeugt und Burroughs unverfrorene Selbstliebe erobert alle Herzen. Für eine Weile.

Als ihre Autorität wuchs unkontrolliert wuchs, kamen ihre antisozialen Neigungen und ihre Intoleranz gegenüber Kritik immer deutlicher zum Ausdruck. Burroughs Forderungen nach Geld und Macht schwollen an zu einem Amoklauf bizarren Verhaltens, zu dem serielle Ehen mit mehreren Schülern gehörten, die 20 Jahre jünger als sie waren, habgierige finanzielle Ausbeutung ihrer Herde, und der gipfelte in ihrer Festnahme durch die Maryland State Police wegen Tätlichkeiten gegenüber einer jungen Nonne. Kurze Zeit später zog Burroughs nach Sedona, Arizona, und in fast klischee-hafter Weise prognostiziert Burroughs eine Reihe von Weltuntergängen, die 1999 stattfinden sollten.

Franklin Jones
Jones war einmal ein hübscher junger Schriftsteller mit einem Masters in Englisch aus Stanford. Nachdem er seine Ausbildung bei den beiden tantrischen Gurus Rudrananda und Muktananda beendet hatte, sammelte er seine eigene Herde von Kriechern um sich. Ein fruchtbarer Schriftsteller, mit der Gabe des Geschwätzes gesegnet, wurde er mit seinem spirituellen Werk "The Knee of Listening" zu einem geistigen Grundnahrungsmittel in den Regalen der Hippies, die offen waren für philosophische Schmeicheleien.

Ausgehend von Los Angeles, nutzte er die Droge Kultur in den sechziger Jahren,  um junge, schöne Frauen in seinen Kult einführen. Jones`Geschichte gibt uns Einblick in eine der wichtigsten Methoden zur Induzierung von „Schüler-Seite TIWS“ unter den Anhängern. Es ist unumstößlich, dass viele Frauen einen Mann als dominant empfinden, der die Hingabe von allen anderen Menschen erlangt hat. Jones eroberte Frauen und umgab sich mit unterwürfigen männlichen Verehrern. Während ganzer Nächte mit Drogen-und-Trinkgelagen setzte Jones seine männlichen Anhänger dazu ein, Frauen von ihren Freunden oder Ehemännern zu trennen. Jones verführte dann die neue Frau. Am nächsten Morgen würde sie eine neue Form der Glückseligkeit in den Armen der Guru entdeckt haben, und ihre gewöhnlichen Liebhaber hätten ihr Ego reduziert auf die Größe einer Stecknadel. Unfähig, seine Frau hinter sich zu lassen, und ebenso unfähig, sie zu überreden, von Jones wegzugehen, ist aus einem gehörnten Mann oft einen neuer Nachfolger geworden. So erwarb Jones zwei TIWS Opfer für den Preis von einem.

Im Jahr 1985 „explodierte“ Jones 'Missbrauch seiner Anhänger in der nationalen Presse und er wurde in eine Reihe von Klagen verwickelt wegen, und das war weithin bekannt in der Hippie-Comunity, psychischer und finanzieller Ausbeutung seiner Anhänger und seiner parsitären Existenz in seiner Gemeinschaft, die ihn immer mehr anreicherte durch Geld, Sex und Macht. Er kaufte sich eine kleine Insel in Fidschi vom Schauspieler Raymond Burr und zog dorthin, in seinen Klauen einige Schüler, deren Schicksal es war, das Herz der Finsternis zu erkunden.

Im Laufe der Jahre hat Jones genug Reichtum von seinen Anhängern angesammelt, was ihm eine bemerkenswert zügellose Lebensweise ermöglichte, die dazu führte, dass er auch als bildender Künstler posierte, der die digitale Fotografie in monumentale Installationen aus Aluminium integrierte, die in Italien ausgestellt und gelobt wurden von einem Stall voller verhätschelter Intellektueller in albernem post-modernen Stil: "Es ist Adi Da Samrajs phantasievoller Triumph, eine Illusion vermittelt zu haben, die durch abweichende Sichtweisen und ihre emotional befreiende Wirkung im Auge der schockierten Betrachtern eine ästhetische Vereinigung geschaffen hat."

Bis zum Ende seines Lebens im November 2007 war es seine Art, vor dem Essen zu singen, und so setzte Jones an, seine originäre spirituelle Prosa folgenden Stils abzusondern: "Ich bin die perfekte, subjektive göttliche Person, selbst hervorgebracht als Ruchira Avatar, der der Erste ist, der der Letzte ist, der der erste Selbst-Manifestierte ist und der Letzte, und der einzige Meister-Verwirklicher, der Meister-Offenbarer und Meister-Enthüller der Siebten Bühne des Lebens. "
Für einige Tage nach seinem Tod, hielten Jones 'Anhänger die Vorstellung aufrecht, dass er vielleicht erwachen könnte von einem tödlichen Herzinfarkt, eine Vorstellung, die sie scheinbar widerwillig aufgaben, vermutlich, als sich der Geruch von Fäulnis zeigte. Selbst die von sklavischer Schüler-Seite TIWS Betroffenen werden gezwungen, zuzugeben, natürlich nur nach einer angemessenen Bedenkzeit, dass des Guru Scheiße stinkt.



Schüler-Seite TIWS
Schüler-Seite TIWS kann sich nach einem relativ kurzen Eintauchen in eine tantrische Guru-Schüler-Beziehung entwickeln. Die Wurzeln dafür liegen in dem Gefühl des Schülers, das wirklich wunderbare und enzigartige Wesen dieser Welt zu vermissen, von dem sie glauben, dass es existiert, aber sie nicht in der Lage seien, mit ihm in Kontakt zu treten. Sie können einen Geschmack davon erfahren haben, durch Drogen, romantische Abenteuer, Reisen oder andere emotionale Stimulanzien, ein Gefühl, dass das Leben manchmal wie durch einen Schleier abtrennt ist und ihnen gleichzeitig  ermöglicht, Einblick in ein magisches Universum zu nehmen, und wenn sie eine Verbindung mit diesem anderen Reich aufnehmen könnten, könnten sie der tristen Realität entfliehen, die sie in sich selbst beschränkt. Tantra ist in der Regel nicht für diejenigen Studierenden, die sich gut fühlen mit anhaltender geistiger Anstrengung auf der Suche nach spirituellem Bewusstsein. Allerdings lockt es oft  die Liebhaber vom Beherrschen eines geheimnisvollen Wortschatzes, esoterischer Symbole und einem Pantheon von Göttern und Göttinnen.

Spirituell Suchenden, die zu Tantra neigen, weisen einige der psychologischen Merkmale von zwanghaften Spielern auf, die einen unerschütterlichen Glauben an ihr einzigartiges Glück haben, und einen leidenschaftliche Wunsch, übergroße Belohnung ernten zu können. 
Die Schüler  tantrischer Lehrer leiden oft unter einem abschätzigen Selbstbild und versuchen, sich mit dem Glamour aufzuwerten, der aus der Verbindung mit dem Guru folgt. Geneigt, an ihre eigene Besonderheit zu glauben, aber überzeugt davon, sie nicht erreichen zu können durch Transzendenz ihrer eigenen Bemühungen, geben sie sich esoterischen Traditionen hin, die das Versprechen enthalten, geheimes Wissen zu enthüllen.

Tantra-Lehrer beschießen ihre Schüler wie mit einer Schrotflinte emotional durch abwechselndes Verhöhnen ihrer emotionalen und intellektuellen Anstrengungen, sie stellen neckisch mühelose Transzendenz zur Schau und beschuldigen sie brutal, nicht in der Lage zu sein, die kleinsten Opfer an Zeit und Geld aufzubringen, was die Aufrichtigkeit ihrer Hingabe demonstrieren würde.
Tantra-Lehrer kennen auch Standard-Methoden zum Abbau sozialer Konditionierung und induzieren die Abhängigkeit vom tantrischen Lehrer, indem sie die Teilnahme an langen Ritualen und Praktiken verlangen, persönliche Leistungen für den Lehrer und seine Familie, und teilen Demütigungen aus, als wären sie ein Segen.
Schlafentzug und ständige Wiederholungen von rituellen Handlungen dienen auch dazu,  geistige Schärfe und Kritikfähigkeit zu betäuben und sie induzieren einen anspruchslosen mentalen Zustand, der als ein Nebel aus Verwirrung, als ein Gefühl der Entfernung von den weltlichen Angelegenheiten  charakterisiert werden kann. In der tantrischen Umgebung sind alle Aktivitäten und Veranstaltungen heilige Vorzeichen und Vorboten von Segen oder Unheil. Nichts, was im "Mandala" passiert, ist gewöhnlich, dadurch wird das Leben aufgeladen mit tiefer Bedeutung.

Das Ergebnis des tantrischen Milieus ist ein Gruppendenken, das zu Hilflosigkeit des Einzelnen führt und zur völligen Abhängigkeit von der vom Guru gegründeten Organisation. Individuell kann dies den Selbsthass vertiefen, zu einer Obsession mit der Person des Gurus führen, zu Akten extremer Selbstaufgabe, um die Zustimmung, die Beachtung des Guru zu erhalten, und auch zur Verehrung des körperlichen Abfalls des Guru, d.h. von Nagel-und Haarabschnitten. Schüler-Seite TIWS kann Anfälle von akuter Angst im Wechsel mit Depressionen induzieren, eine episodische  Flucht aus der Realität, gekennzeichnet durch vorübergehende Ekstase und Selbstvergötterung, zwanghafte meditative Andacht oder Verhalten und die nagende Furcht vor der Verdammnis, in tantrischen Kreisen als "Vajra-Hölle“ definiert. 

Schüler-Seite TIWS nimmt auch verschiedene, anscheinend gutartige Formen an, die offenbar bei Personen mit einer sanften Persönlichkeit oder niedriger geistiger Vitalität wirken, die sich am besten fühlen, wenn sie in einer niedrigen Position, ohne Hoffnung auf Fortschritt, gehalten werden. Menschen, die Herausforderungen vermeiden und an Angst leiden, vor Allem dann, wenn sie mit Veränderungen der Routine konfrontiert sind. So kann Schüler-Seite TIWS zu einer perfekte Zuflucht vor den Unbilden des täglichen Lebens werden. Wenn die narkotische Wirkung der Mantra-Rezitation und die Vermeidung von beunruhigendem diskursiven Denkens kombiniert werden, kann das Ergebnis der Bildung einer Persönlichkeit sein, glücklich desinteressiert an den verschiedenen Beschäftigungen zu werden, die die Elemente eines ordentlichen, zufriedenes Lebens ausmachen, wie Beziehungen zu anderen Menschen, Kinder bekommen, eine befriedigende Karriere zu haben oder ästhetische und intellektuelle Aktivitäten auszuführen.



Übertragungs-TIWS
Diese Störung entwickelt sich bei einigen Opfern des Studenten-Seite TIWS durch ernsthaftes Streben nach der Gunst des Guru Sie entsteht nur dann, wenn das durch eine spezifische Förderung durch den Guru befruchtet wird und sie ist gekennzeichnet von einem Gefühl der Überlegenheit, durch die Identifikation mit demdominierenden Bild des Gurus und dem Vertrauen, dass man in der Tat den Guru-Status erreichen kann. Diese Schüler übernehmen die Rolle der Go-Betweens in der TIWS-Gemeinde, sie übermitteln Nachrichten zu und von den Gurus, sie sorgen für den Ablauf der monetären Transfers und sie helfen neuen Schülern, sich zu etablieren.  Übertragendes TIWS manifestiert sich oft in subtilen und groben anti-sozialen Verhaltensweisen, die typisch sind für Gurus. Die Störung entwickelt sich meist in einem zyklischen Muster, in dem sich die Eigenschaften des Schüler-Seite TIWS, d.h. ehrgeizige Hoffnung wechselt sich ab mit niedrigem Selbstwertgefühl, und die manischen Eigenschaften des Guru-Seite TIWS, d.h. Selbstvergötterung und Größenwahn, abwechselnd zeigen. Dieses Erschaffen eines wechselnden Strudels von wahnhaften Aktivität wird durch den Guru manipuliert, um seine eigenen pathologischen Launen zu befriedigen.

Solche Betroffenen, zerrissen von der Spannung eines Wechsels zwischen Ehrgeiz und Hoffnung einerseits und Demütigung und Verzweiflung andererseits, leiden oft unter einer Unterdrückung ihrer Gefühle, was ihnen eine starre, ernste Gesinnung aufdiktiert. Sie neigen dazu, ihren Sinn für Humor zu verlieren, und als Opfer mentaler und psychischer Spaltung lachen sie selten, außer wenn der Guru einen Witz macht. Sie werden sich zwar oft in Humor versuchen, weil sie glauben, sie spiegeln dann den scheinbar spontanen Stil des Guru, doch solche Versuche glücken meist nicht, und die von Schüler-Seite TIWS Betroffenen lachen nur zugunsten eines höheren Status. So sind die von Übertragendes TIWS Betroffenen unter ihrer persönlichen Steifheit begraben, umgeben von einem sozialen Umfeld mit extremer Konformität und Berechnung, eine Art gefrorene Hölle, aus der sie nur entweichen können in Anfällen von Verzweiflung und Selbsthass.



Behandlungsmodalitäten
Schüler-Seite TIWS ist behandelbar, wenn das Opfer aus dem TIDS-gesättigten Umfeld entfernt werden kann und eine intensive Therapie beginnt mit Menschen, die Nichts über den Guru wissen, der ja im Mittelpunkt der Verliebtheit steht. Zum Beispiel in ein Umfeld mit manueller Arbeit versetzt zu werden, in Gesellschaft von Menschen, die Nichts wissen und sich nicht um den Guru kümmern, kann als bemerkenswert effektiv gelten. Der vollständige Mangel an Reaktion auf und Diskussion über den Guru führt dazu, das die Betroffenen innehalten können und bemerken, das Menschen nicht nur leben können ohne den Guru, sondern auch ohne irgendeinen Guru. Gesprächstherapie bei Menschen mit einer spiritulellen Orientierung ist, was nicht überrascht, in der Regel wenig hilfreich..Wenn eine schnelle Heilung erwünscht ist, ist der Schlüssel zum Behandlungserfolg der, die Menschen aus ihrer alten Umgebung herauszulösen sie in ein alltägliches Leben zu führen und ihre Seele sich von dem kontinuierlichen Fluss eines obsessiven Guru-Bezugs erholen zu lassen.

Übertragendes TIWS stellt ein etwas schwierigeres Problem dar, ist aber behandelbar. Der Durchbruch bei den Betroffenen ist viel wahrscheinlicher, wenn sie gerade, aus dem obeb beschriebenen Zyklus heraus, eine Explosion der Wut darüber erleben, das ihre Hoffnungen auf das Erreichen des Guru-Status plötzlich unrealistisch geworen sind. Interessanterweise steuert der Guru solche Vorkommnisse, um bei einem Schüler die Treue zu prüfen durch eine extreme Provokation. Plötzlich zerbricht die Illusion, dass der Guru den Schüler wirklich liebt, und so fühlt dieser sich der Liebe außerordentlich stark beraubt. Ein weiterer Anknüpfungspunkt kann sich ergeben, wenn das Opfer sich auf dem Tiefpunkt der Enttäuschung befindet über eine schreckliche Demütigung durch den Guru oder einer seiner Schergen.
Schließlich kann Eifersucht entstehen, wenn ein Betroffener erkennt, dass andere Menschen, die weniger spirituell, weniger intelligent oder sensibel dem Leben gegenüber sind, eine wundervolle Zeit haben trotz der geringeren Ausstattung mit geistigen Fähigkeiten als man selbst.

Guru-Seite TIWS ist natürlich statistisch viel seltener als die anderen Beiden und Gelegenheiten für eine Behandlung sind fast nie vorhanden. Des Weiteren scheint im Großen und Ganzen die Erfahrung zu stimmen, dass bei den von Guru-Seite TIWS die Betroffenen wenig Lust verspüren, etwas zu verändern, und ohne diesen Impuls, ohne einen Funken davon, ist ein Wandel äußerst unwahrscheinlich.

Schluss
Zum Schluss sei gesagt, dass es, während es hofnungsvolle Ansätze zur Behandlung von Schüler-Seite TIWS und Übertragendes TIWS gibt, für die durch Guru-Seite TIWS Betroffenen düster aussieht; denn wenn erst einmal eine tantrische Autorität den individuellen Guru-Status anerkennt und die Schüler beginnen, das zu verstärken, ist ein sich selbst perpetuierendes Wahnsystem installiert, aus dem es keinen Ausweg gibt. 
In der Tat, da die Aktivierung der Guru-Pathologie die zentrale Grundlage ist für eine durch TIWS beeinflusste Gemeinschaft, setzt das ein Perpetuum Mobile frei, was jeglicher Erosion der Popularität trotzt, selbst wenn Popstars und Hollywoodschauspieler ersten Ranges an TIWS leiden. 
Copyright 2009, Charles Carreon

Sonntag, 23. Oktober 2011

Braucht der Westen den tibetischen Buddhismus?



 Rüdiger Sünner
@ http://www.ruedigersuenner.de/dalai1.html



Einleitung

Kaum ein Buch provozierte in den letzten Jahren
eine so erregte Kontroverse in Deutschland
wie "Der Schatten des Dalai Lama" (1999)
von Victor und Victoria Trimondi. Nachdem
ich mich bereits auf der umfangreichen Webseite
des Autorenpaares dazu geäussert hatte
(www.trimondi.de/deba06.html), möchte
ich angesichts des aktuellen ATALANTE-Themas
noch einmal differenzierter darauf eingehen.
Denn auch  wenn dem Buch manche Mängel
vorgeworfen wurden (Vermischung seriöser
mit unklaren Quellen, Sinnverkürzungen,
Zitatcollagen, Unkenntnis der tibetischen Sprache
bzw. des Sanskrit etc.) enthält es genug Material,
um mindestens eine Hauptthese zu untermauern:
Der nach Esoterik hungrige Westen habe bisher
den tibetischen Buddhismus eher verklärt und
idealisiert, als kritisch hinterfragt.
Die Anhänger des Dalai Lama und seiner Lehre müssten sich die Frage gefallen lassen, ob
sie nicht mit der Adaption dieses Glaubenssystems wieder ein vorrationales
okkult-magisches Weltbild einführten, in dem weniger selbstbestimmte
Individuen als transzendente Mächte bzw. ihre Sprachrohre, die tibetischen Lamas
herrschten: "Das Abendland hat mit der Aufklärung seine alten 'Götter' und Mythen gestürzt,
jetzt holt es sie durch die unkritische Übernahme exotischer Religionssysteme wieder
ins Land." (327)

Eine solche These stiess natürlich auf erbitterten Widerstand, hatten sich doch in den letzten Jahren Hunderttausende den Dalai Lama und seine "friedfertige" Religion zur neuen spirituellen Orientierung, ja zum Objekt grenzenloser Verehrung auserkoren. Viele glauben heute, dass der Buddhismus gegenüber dem langsam verfallenden Christentum eine echte Glaubensalternative darstelle, die dem in Materialismus gefangenen Europäer und Amerikaner neue Wege zu geistig-seelischem Heil weisen könne. Die Lektüre des Trimondi-Buches zeigt aber zumindest, das unzählige Facetten dieser Religion im Westen völlig unbekannt sind, ja dass sie Untiefen enthält, die auch in gänzlich andere Bereiche als "Frieden", "Mitgefühl" oder "Toleranz" weisen.
Auch wenn ich nicht mit allen Thesen des Buches einverstanden bin, so teile ich doch seine Meinung, dass umfangreiches und differenziertes Wissen zur Beschäftigung mit den Mythen und Religionen dieser Welt dazugehört. Nicht zuletzt habe ich aus einem solchen Ansinnen heraus dieses Online-Magazin gegründet. Wir wollen daher im folgenden einige Kernpunkte der Streitschrift diskutieren und zum Schluss fragen, ob und inwieweit der tibetische Buddhismus wirklich eine spirituelle Alternative für den Westen darstellt.



Frauenbild im tibetischen Buddhismus
Ein zentraler Vorwurf der Trimondis an den tibetischen Buddhismus ist, dass er in seinen Geheimlehren ein Bild der Frau pflege, durch das diese oft zum Symbol des Inferioren, Verführerischen und Dämonischen degradiert werde. Dies könne man nicht nur an negativ besetzten Sprachwendungen (1) ablesen, sondern bereits am tibetischen Ursprungsmythos selbst. Dieser berichte von der Verführung eines Buddhawesens in Affengestalt durch eine "von "Geilheit aufgestachelte" Dämonin namens Srinmo, der der meditierende Buddha zunächst 7 Tage lang widerstehen konnte. Erst als sie ihm drohte, mit anderen Dämonen monströse Jungtiere zu zeugen, die Tod und Verderben über die Welt brächten, schlief er "aus Mitleid" mit ihr.Eine andere Legende fügt hinzu, dass Srinmo, weil sie gegen die Einführung des Buddhismus in Tibet protestiert habe, auf den Rücken geworfen und mit 13 Ritualdolchen ("Nägel der Unbeweglichkeit") gepfählt worden sei.

Die Abbildung oben zeigt diesen Vorgang, wobei die jeweiligen Einschnittstellen auch die Hauptgründungsklöster Tibets markieren, mit dem Potala von Lhasa als Zentrum in der Mitte. Unter seinen Kellern, so die Sage, befinde sich ein riesiger Blutsee, aus dem dann und wann noch der leise Herzschlag der gepfählten Dämonin nach oben dringe.

Selbst wenn andere Mythen und Religionen auch nicht mit archaisch-drastischen Bildern geizen, so strömt dieses doch eine besonders makabre Kraft aus: Die Gründung Tibets wird im Zusammenhang mit der Herzdurchbohrung einer weiblichen Gottheit gesehen, die wohl Erdkräfte, Verführung, Wildnis, Animalisches und schweifend Sinnliches symbolisiert. Gleichwohl wird sie am Leben gelassen, um - gezähmt - ihre Energien doch irgendwie für eine männliche Priesterkaste nutzen zu können. Spricht sich hierin die gleiche Angst vor dem Weiblichen aus wie in buddhistischen Meditationsanweisungen für Mönche, die sich den langsam verwesenden Leib einer schönen Frau vorstellen sollen, um Einsicht in die unabwendbare Vergänglichkeit aller Dinge zu erhalten?

1) Die bei den Trimondis häufig zitierte intime Kennerin des tibetischen Buddhismus, June Campbell, weist daraufhin, dass in dieser Glaubenslehre eine Sprache fehlt, die geschlechtliche Differenz anerkennt und würdigt. Eher herrsche eine Terminologie sexistischer Polarisierung vor, die schon in der Frauenverachtung des historischen Buddha angelegt sei. So fallen Campbell in den heiligen Texten z.B. folgende Synonyme für "Frau" oder "Weiblichkeit" auf: "die mit Beschränkungen behaftet ist", "die fesselt", "die ohne Samen (Stärke) ist", "die man nachts nicht aus dem Haus lassen kann", "Unruhestifterin", "primäre Ursache des Leidens", "zuerst lächelnde Göttin ... dann Dämonin mit Leichenaugen ... am Ende zahnlose alte Kuh", "heilige Zutat des Tantra" (June Campbell: Göttinnen, Dakinis und ganz normale Frauen, Berlin 1997, 69f)




Trotz diesen herabwürdigenden Vorstellungen ist das Weibliche in den sexualmagischen Ritualen des tibetischen Buddhismus dennoch von grosser Wichtigkeit: Der Einzuweihende muss - real oder in der Einbildung - Geschlechtsverkehr mit einer "Mudra" (Gespielin) begehen, um sich deren begehrtes Vaginalsekret einzuverleiben, worauf er androgyn wird bzw. die "bisexuelle Gottheit im eigenen Körper" realisiert. Dieser Vorgang wird - laut dem Geheimtext des Kalachakra-Tantras - auch mit Minderjährigen vollzogen, wobei zuweilen der "Genuss" von deren Urin, Kot und Menstruationsblut quasi als anfachendes Moment noch der sexuell-spirituellen Steigerung dient. Auch wenn der Dalai Lama dies persönlich nicht (mehr) praktiziere - so die Trimondis - besässe er doch detaillierte Kenntnisse dieser Rituale und Techniken. Auf der "Mind and Life"-Konferenz in Dharamsala (1999) habe er sogar die anrüchige Vajroli-Methode erwähnt, mit der der Yogi übe, Wasser und Milch durch die Harnröhre nach oben zu ziehen. Derart trainiert, könne er dann beim Sexualverkehr den Samen anhalten bzw. das vaginale Sekret seiner Partnerin zu sich hinaufziehen, um es mit seinem Sperma zu einem göttlichen Extrakt zu vermischen (Schatten des Dali Lama, 349f).
Ritualgegenstände des tibetischen Tantra, die Vagina und Penis symbolisieren

Die jungen Gespielinnen - so erklärte das geistliche Oberhaupt der Tibeter noch zusätzlich - würden in der tantrischen Literatur u.a. nach der Form ihrer Genitalien klassifiziert: So gebe es die "Lotos-artige", die "Reh-artige", die "Muschel-artige" oder die "Elefanten-artige" (350).  Auch wenn diese Mädchen in Tibet vielleicht hoch angesehen werden und ihre gelegentliche Minderjährigkeit mit einem anderen Heiratsalter zu tun haben mag, so hat man es hier doch nicht mit einer Partnerschaft zu tun, sondern mit dem Gebrauch eines Objektes, das nach seinem Funktionieren wieder entlassen wird. Dass solche Praktiken auf jeden Fall bei westlichen Frauen traumatische Spuren hinterlassen können, erfuhr die bereits erwähnte schottische Religionswissenschaftlerin June Campbell, die einige Jahre lang "Mudra" des hochangesehenen Lamas Kalu Rinpoche war.
"Meine Einwilligung, in eine geheime sexuelle Beziehung einzutreten", schrieb sie darüber, "basierte vor allem auf der Verpflichtung zu Hingabe und Gehorsam, die für alle, die in der nächsten Umgebung des Lamas lebten, von zentraler Bedeutung ist. Ausserdem machte die Forderung, den Lama als göttlich anzusehen, es mir praktisch unmöglich, sein Urteilsvermögen bezüglich aller Fragen, die meine eigene spirituelle Entwicklung betrafen, anzuzweifeln." (Göttinnen, Dakinis und ganz normale Frauen, 165)
June Campbell glaubte anfangs, dass eine geheime Beziehung eine Erweiterung der religiösen Praxis sein könne und in den Bereich der geheimen tantrischen Praktiken fallen müsse. "Tatsächlich jedoch lief das, was geschah, den ursprünglich eindeutig egalitären tantrischen Vorstellungen völlig zuwider, da ich mit Forderungen konfrontiert wurde, in denen weder Achtung meinem Körper und meiner Person gegenüber zum Ausdruck kam, noch Rücksicht auf meine Gefühle genommen wurde ... irgendwann sah ich mich dann nicht mehr in der Lage, weiterhin eine Beziehung zu einer angesehenen Autoritätsperson aufrechtzuerhalten, die ständig meine Persönlichkeitsgrenzen verletzte und von mir bedingungslose Unterwerfung erwartete." (ebd. 166)

Da von June Campbell absolutes Stillschweigen über ihre Tätigkeit verlangt wurde, war es ihr zunächst nicht möglich, aus diesem Bannkreis auszubrechen, zumal sie mit Horrorgeschichten über das Schicksal von Mudras, die geplaudert hatten, eingeschüchtert wurde: "Menschen, die nie eine Tradition wie die tibetische von innen kennengelernt haben, mögen solche Ängste für völlig überzogen halten, doch in geschlossenen Gruppen dieser Art kann schnell eine autoritäre 'Kultur der Insider' die Herrschaft übernehmen." (167)

Ihr Schicksal war kein Einzelfall: Auch andere Lamas missbrauchten das Vertrauen ihrer Schülerinnen, so dass sich selbst der Dalai Lama damit beschäftigte und genaue Untersuchungen anregte. Selbst wenn man die Vergehen einzelnen fehlbaren Individuen anlastet, so spiegeln sie doch auch die unheilvolle "Allianz von Religion, Sexualität, Macht und Geheimhaltung", wie sie für das lamaistische Mönchswesen typisch ist. Diese Männer, die - so Campbell - früh ihren Müttern weggenommen wurden und nie eine Möglichkeit hatten, sich selbst als gewöhnliche Menschen zu erleben und eigene Identität (d.h. auch psychische Unabhängigkeit von der Mutter) zu entwickeln, wissen kaum etwas über zwischengeschlechtliche Beziehungen, aber gelten dennoch als grosse und "reine" Heilige. Besonders absurd und schmerzhaft wird es, wenn sie zwar nach aussen hin zölibatär auftreten, aber sich dennoch heimlich "gefügige" Frauen für ihre spirituellen Praktiken halten. June Campbell glaubt letztlich nicht an eine baldige Reformierung dieser jahrhundertelangen Traditionen, weil die gesamte Philosophie und Ikonographie des tibetischen Buddhismus fest darauf gegründet sei.



Brutale Ikonographie

Neben der Frauenfeindlichkeit werfen die Trimondis dem tibetischen Buddhismus eine "sadomasochistische Lust am Makabren und Aggressiven" vor, was sich vor allem in seinen Bilddarstellungen und den sog. Gokhangs (Schreckenskammern unter den Klöstern) zeige. Hier wuchere es nur so von abgeschlagenen Schädeln, Hackmessern, Instrumenten aus Menschenknochen, Leichenteilen, dämonischen Fratzen, Henkern, Zombies und sonstigen Horrorgestalten.

Warum, so fragen die Autoren, ist die Schutzgöttin des Dalai Lama ausgerechnet die Göttin Palden Lhamo (Bild), die auf der abgezogenen Haut des von ihr ermordeten Sohnes über einen kochenden Blutsee reitet, behängt mit Schädeln und abgeschlagenen Menschenköpfen? Warum tragen die sexuellen Gefährtinnen (Dakinis) gerne Hackmesser und mit Blut gefüllte Schädelschalen in der Hand und wieso werden junge Lamas während ihrer "Initiation" in Horrorkammern eingesperrt, wo Leichenteile und morbide Schreckgespenster auf sie warten?

Tibetologen und buddhistische Geistliche antworten darauf, dass all dies rein symbolische Gestalten seien, die die Dämonen des "niederen Selbst" (Begierden, Ängste etc.) verkörperten: Um zur Erleuchtung aufzusteigen, müsse der Adept sich ihnen mit voller Wucht stellen, ihre "Leerheit" erkennen und sie so endgültig abtöten. Die Trimondis halten dagegen, dass im okkulten Weltbild des Buddhismus Aussen- und Innenwelt, Subjekt und Objekt, Symbol und Realität nicht getrennt seien, was dazu führen könne, dass bestimmte magische Beschwörungen buchstäbliche Wirkungen erzielen könnten.
Zumindest für das alte Tibet sind Dinge wie Schwarze Magie und Schadenzauber belegt. So gab es etwa die sogenannten "Lingas" (Bild rechts), rituelle Abbildungen oder Figuren, in die alle Negativa des Feindes hineinprojiziert wurden, worauf man sie in dessen Haus brachte oder wie eine Voudoo-Puppe quälte.

"In einem so stark von der Magie geprägten Weltbild wie dem tibetischen"
, so Gerhardt W. Schuster in seinem aufschlussreichen Buch "Das alte Tibet - Geheimnisse und Mysterien", "führten Hass und Neid oft zu dem Entschluss, missliebige Menschen durch Schadenzauber zu schädigen. Allgemein bekannt war den Tibetern die starke Wirkung von sowohl positiver als auch negativer Gedankenenergie. Verstärkt durch die Anrufung zornvoller Gottheiten, konnte aus häufigem Verwünschen und Verfluchen einem Widersacher durchaus Schaden erwachsen. wesentlich nachhaltiger aber war die rituelle Verfluchung durch einen sachkundigen Magier." Gelegentlich wurde sogar von staatlicher Seite auf schwarzmagische Praktiken zurückgegriffen: Noch während der Jugendzeit des jetzigen Dalai Lama praktizierten Mönche des Mindoling-Klosters bei Lhasa aufwendige Zeremonien, um eine Invasion von Gurkha-Truppen aus Nepal abzuhalten (Schuster 135).
Click vergrössert

Ähnlich bizarr mutet für den Westen, der im Mittelalter auch solche Praktiken kannte, das Phänomen des Ritualmordes an, das es heute in Europa vielleicht noch in Mafia-Kreisen gibt. Ein aufsehenerregendes Beispiel, das auch den Dalai Lama tief verstörte, war der äusserst brutale Mord, der in Dharamsala am 4. Februar 1997 an einem seiner engsten Vertrauten (Lobsang Gyatso) sowie an zweien seiner Schüler verübt wurde. Täter dieses blutigen Spektakels, bei dem sogar Kehlen durchgeschnitten und Hautteile der Opfer abgezogen wurden, waren konservative Anhänger der Gelbmützensekte, die den furchteinflössenden Rachegott Dorje Shugden ("Brüller des Donnerkeiles") verehren: vermutlich sollte ihr Mord ein Protest gegen die Verurteilung dieser Shugden-Anbeter und ihrer "reaktionären" schamanistischen Praktiken durch den Dali Lama sein. In diesem Falle, der natürlich auch wieder als Einzelbeispiel bzw. Pervertierung von Mythen gedeutet werden kann, scheint die "handgreifliche" Macht bestimmter Symbolgehalte plötzlich doch einmal ganz greifbar zu werden: Es ist wahrscheinlich, dass die Mörder sich durch intensive Verinnerlichung mit der Gewaltaura ihres Vorbildes so stark verbanden, dass sie am Ende die Tat als zwangsläufige Befolgung einer "höheren Eingebung" bzw. als Handlung der Gottheit selbst empfanden.

Ähnliches gibt es natürlich auch im Westen, wenn z.B. psychotische Mörder "im Auftrag" von Stimmen, Dämonen etc. handeln oder okkult faszinierte Jugendliche durch "Satan" oder "Odin" zu rituellen Morden inspiriert werden. Auch die islamistischen Attentäter des 11.September handelten ja in "göttlicher Mission" und waren sich bei ihrem "Heiligen Krieg" keiner Schuld bewusst. Keine Kultur - und sei sie noch so "aufgeklärt" - ist vor solchen erschreckenden Atavismen gefeit. Aber im Spektrum tibetischen Glaubens wurden und werden solche Taten nicht von verirrten Einzelgängern, sondern von religiösen Vertretern begangen, die sich durch ein komplexes System von Göttern und Dämonen abgesichert glauben. Auch wenn dieses nicht zwangsläufig zu solch monströsen Geschehnissen führen muss, so ist doch die Forderung berechtigt, offener über derartige Schattenseiten des Okkulten zu diskutieren bzw. die Frage zu stellen, wie diese mit Modernisierungs- und Reformprozessen eines neuen Tibet zusammengedacht werden sollen.




Archaische Geschichte
Während die Anhänger des Dalai Lama und auch dieser selbst die Geschichte Tibets gerne als eine von Frieden und Weisheit getragene Epoche deuten, ergeben die Recherchen der Trimondis ein anderes Bild: Neben meditativer Stille und einer Philosophie des Mitgefühls herrschten hier auch über Jahrhunderte Beamtenwillkür, diktatorische Entscheidungen, Gehirnwäsche, Dämonenglauben, spirituelle Kontrolle, kriecherische Servilität, der Gegensatz von Massenarmut und orientalischem Reichtum der Herrschenden, Mangel an jeder Hygiene, grausamste Straf- und Folterpraxen sowie privater und politischer Mord.
Der "Potala" in Lhasa: Zentrale Hochburg jahrhundertelanger spiritueller und politischer Macht

Diese Schattenseiten des vom Westen zurechtgeträumten Paradieses auf dem "Dach der Welt" werden von heutigen tibetischen Führern und ihren westlichen Anhängern meist unterdrückt. Während letztere nicht müde werden, in der eigenen europäischen Geschichte z.B. Leibeigenschaft, Sklaverei und Ausbeutung anzuprangern, übersehen sie dieselben Phänomene im weit entfernten und über allen Wolken thronenden Geheimland Tibet. Wichtig ist auch der Hinweis der Trimondis, dass bspw. der Karmaglaube dafür eingesetzt wurde, soziale Unterschiede spirituell zu rechtfertigen: Priviligiertheit konnte so als Belohnung für gute Taten in einem früheren Leben gedeutet werden und Armut als Busse für ehemalige Verfehlungen. Während sich der Westen über die barbarischen Exzesse der Taliban empörte, übersah er gerne, dass noch bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts öffentliche Auspeitschungen in Tibet üblich waren, von früheren Strafformen wie Verstümmelung etc. einmal ganz abgesehen. Der tibetische Klerus war nicht nur eine friedfertige Gruppe von studierenden Mönchen, sondern - laut den Trimondis - auch ein privates, profitorientiertes Kapitalunternehmen, in dem politische Intrigen und Konkurrenzkämpfe der verschiedenen Orden an der Tagesordnung waren. Zwischen den Eingeweihten und der analphabetischen Masse herrschte kein demokratischer Dialog, sondern Indoktrination und - wenn nötig - brutale Gewalt. Wie schnell dieses prekäre Gleichgewicht umkippen konnte, schilderte z.B. Heinrich Harrer, der in den 40er Jahren während des Neujahrsfestes einmal die Verwandlung von okkultem Massentheater in kollektive Raserei beobachten konnte:
"Wie aus der Hypnose erwacht, stürzen in diesem Augenblick die Zehntausende aus der Ordnung ins Chaos. Der Übergang ist so plötzlich, dass man fassungslos ist. Geschrei, wilde Gesten ... sie trampeln sich gegenseitig zu Boden, bringen sich fast um. Aus den noch weinend Betenden, ekstatisch Versunkenen sind Rasende geworden. Die Mönchssoldaten beginnen ihr Amt! Riesige Kerle mit ausgestopften Schultern und geschwärzten Gesichtern - damit die abschreckende Wirkung noch verstärkt wird. Rücksichtslos schlagen sie mit ihren Stöcken auf die Menge ein ... Heulend steckt man die Schläge ein, aber selbst die Geschlagenen kehren wieder zurück. Als ob sie alle von Dämonen besessen wären." (Schatten des Dalai Lama, 534)



Magische Politik

Wenn die Trimondis behaupten, dass der tibetische Buddhismus nach wie vor ein magisch-okkultes Weltbild pflege, in dem "Visionen", "Eingebungen" und "Götter" sogar die Politik mitbestimmen, so lässt sich dies am klarsten anhand des sogenannten Staatsorakels belegen, das am Hofe des Dalai Lama eine wichtige Funktion innehat. In Trance ruft dieses den Zorngott Pehar, um Weisungen für den Reinkarnationsort etwa eines verstorbenen Lamas zu erhalten. Bei solchen Ritualen spielen sich für den Westler bizarr anmutende Szenen ab: Das Orakel, meist ein junger Mann mit medialen Fähigkeiten, zuckt in seinem kiloschweren Ornat hin und her, bis sich ihm die Augen verdrehen und Schaum aus dem Mund tritt. Um ihn herum Mönche mit Diktaphonen, die gebannt jedes Stammeln aufzeichnen, das Botschaften über Himmelsrichtungen und Topographien Tibets enthalten soll, wo die Reinkarnation des geistlichen Führers in Form eines kleinen Jungen vermutet wird. Trotzdem einige "progressive" Tibeter diese archaische Methode inzwischen auch mit Skepsis ansehen, verteidigt sie der Dalai Lama nach wie vor als zuverlässige "Informationsermittlung":
Das Nechung-Orakel in Trance

"Ich halte aus dem einfachen Grund daran fest, weil ich im Rückblick auf zahlreiche Befragungen feststellen konnte, dass das Orakel noch immer recht hatte ... Ich glaube nicht nur an Geister, sondern an verschiedene Arten von Geistern! ... Zu dieser Kategorie gehört auch das Staatsorakel Nechung. Wir halten diese Geister für zuverlässig, denn sie haben eine lange Geschichte ohne jede Kontroverse in über 1000 Jahren." (Schatten des Dalai Lama, 548)

Trotzdem sich der Dalai Lama bei seinen Auftritten in Europa und Amerika als rational denkender Mensch gibt, herrschen in seinem Amtssitz in Dharamsala nach wie vor Orakelkunst, Reinkarnationsglaube, Sternenkunde, Traumdeutung und Losziehung vor, auch um wichtige Fragen der exiltibetischen Politik mitzubestimmen. So befragte man auch nach dem bereits oben erwähnten Ritualmord der Shugden-Anhänger das Orakel, wie man sich angesichts der furchtbaren Ereignisse zu verhalten habe. Ich erwähne dies hier nicht, weil ich solchen "okkulten" Dingen prinzipiell unversöhnlich gegenüberstehe: Auch in unseren "westlichen" Entscheidungsfindungen spielen Intuition, Eingebung, Inspiration, "innere Stimmen" und sogar Träume eine gewisse Rolle, ganz zu schweigen von der Arbeit der Künstler, die ohne so etwas gar nicht auskommt. Aber in Tibet wird darüber kaum offen gesprochen und das Orakelwesen liegt in der Hand einiger weniger Auserwählter, die naturgemäss damit auch Missbrauch betreiben können. Zudem ist es nicht eingebettet und ausbalanciert durch rationale und demokratische Prozesse, sondern bestimmt mit unhinterfragter Absolutheit das spirituelle und politische Geschehen.

Als weiteres Beispiel für "magische Politik" führen die Trimondis auch den sogenannten Shambhala-Mythos an, eines der Kernstücke des Kalachakra-Tantras, in dem die Etablierung eines goldenen buddhistischen Zeitalters und ein erbitterter Krieg gegen Glaubensfeinde vorausgesagt wird. Dort ist die Rede von "zornigen Raddrehern", die in einer "letzten Schlacht" die Feinde der buddhistischen Lehre vernichten werden, wobei bestimmte Begriffe auf den Islam deuten. Zwar sind solche Passagen in gewisser Weise historisch plausibel, da zur Entstehungszeit des Shambhala-Mythos (10. Jahrhundert) tatsächlich islamische Krieger in buddhistischen Gemeinden Indiens viel Unheil anrichteten. Aber man kann sich trotzdem fragen, wieso solche Anachronismen nach wie vor zur aktuellen "spirituellen Politik" Tibets gehören. Sie sind letztlich genauso unzeitgemäss, irrational und gewaltgeladen wie die Rechtfertigung von "Heiligen Kriegen" durch arabische oder jüdische Fundamentalisten, die ebenso auf jahrhundertealte Mythen zurückgreifen, um aktuelle politische Konflikte zu lösen.



Wer ist der Dalai Lama?
Wenn die Trimondis atavistische Tiefenschichten des tibetischen Buddhismus kritisieren, beziehen sie natürlich immer dessen Oberhaupt - den Dalai Lama - mit ein. Und doch verraten die Bemerkungen zu ihm eine gewisse Ambivalenz und Unentschiedenheit, die sich im Verlauf der Lektüre zu einem Katalog letztlich offener Fragen ausweitet. Man muss wissen, dass die Trimondis den Dalai Lama einst nicht nur schätzten, sondern auch Bücher von ihm verlegten und Grossveranstaltungen mit ihm organisierten. Irgendwann kam eine Abkehr und es entstand das Bedürfnis, religiöse Weltbilder - also auch den Buddhismus - genauer und tiefer zu analysieren. Ich vermute, dass dabei auch persönliche Erfahrungen (Enttäuschungen, Verletzungen?) der Autoren mit dem Oberhaupt Tibets eine Rolle spielten.

Leider wird darüber im Buch nichts gesagt, die Trimondis steigen nicht in den Keller ihrer eigenen Projektionen, Ängste und Verstrickungen hinab, wie sie es für den Umgang mit den "Schattenseiten" des Lamaismus fordern. Stattdessen klingt in ihrem Buch immer auch eine Art Hassliebe gegenüber dem Dalai Lama durch. Vielleicht auch ein bisschen Neid angesichts seines "Sex-Appeals", der ja offensichtlich auf zahlreiche Filmschauspielerinnen, Popsängerinnen und selbst Feministinnen zu wirken scheint? Man merkt, und das ist nicht unsympathisch, dass die Trimondis mit diesem interessanten und charismatischen Mann noch nicht fertig sind. Auch mir geht es so, wenn ich einerseits die kritischen Materialien im Buch lese, andererseits von ihm bspw. im Fernsehen immer wieder stark berührt werde.

Im "Schatten des Dalai Lama" wird dem Führer Tibets einerseits zugestanden, tatsächtliche Reformbewegungen voranzutreiben, andererseits erscheint er wie ein in finstere Okkultpraktiken verstrickter Zauberer, der mit allen Wassern der Sexualmagie gewaschen ist, rachsüchtige Schutzgottheiten verehrt und an einen Endkampf des Buddhismus um die Weltherrschaft glaubt. Die Trimondis berichten jedoch auch davon, wie er den Missbrauch von Frauen für tantrische Zwecke kritisiert, Licht- und Schattenseiten in der Vergangenheit seiner Heimat eingesteht und sogar die Gründung einer tibetischen Fraueninitiative protegierte. Ihm wird zugutegehalten, dass er sogar seine Wiedergeburt in einem weiblichen Körper für möglich hält, was einen radikalen Bruch mit dem bisher ausschliesslich männerdominierten Lamaismus bedeuten würde. Aber dann wird wieder gesagt, er äussere all dies immer nur mit einem Schmunzeln, kaschiert hinter mehrdeutigem Humor und es schimmert die Befürchtung hindurch, er sei doch ein listiger Stratege oder mephistophelischer Clown. Der Dalai Lama - dies merkt man auf Schritt und Tritt - ist den Trimondis unheimlich, eine Sphinx in männlicher Gestalt, bei der man nicht so genau weiss, wo man dran ist. Auch mir geht es zuweilen so und vielleicht spüre ich in diesen Momenten die tiefsten Abgründe zwischen Europa und Asien. Möglicherweise äussert sich bereits in der ganzen Aura dieses Mannes die Kluft zwischen westlichem Rationalismus, Entweder-Oder-Denken und dem östlichen (manchmal fast genüsslichen) Oszillieren zwischen allen Polen irdischer und kosmischer Fragen. Dies scheint mir ein erkenntnistheoretisches und moralisches Grundproblem nicht nur der Kritik des Buddhismus, sondern auch ihres obersten Führers zu sein.

Die Trimondis helfen sich aus dieser Verlegenheit, indem sie ein paar Dinge übertreiben: Sie erwähnen die Faszination des Dalai Lama für Kriegsspielzeuge, Kriegsfilme und Uniformen und erwägen, ob die Ausstrahlung der von ihm zelebrierten grossen Kalachakra-Rituale auch indirekt zum Tod von Petra Kelly oder Mao Tse Tung führten (703, 740). Auch sind sie in ihren Recherchen ungenau, was sein Zusammentreffen mit Alt-Nazis oder fanatischen Sektenführern betrifft. Ob man Heinrich Harrer einfach mit der Bezeichnung "SS'ler" ausreichend charakterisieren kann, bleibt fraglich. Ebenso beziehen die Trimondis ihre Information, der Dalai Lama sei nach seiner Flucht aus Tibet als erster vom chilenischen Neo-Naziführer Miguel Serrano begrüsst worden, aus einem Interview mit Serrano selbst, also einer höchst subjektiven Quelle (665). Und die Tatsache, dass sich der japanische Sektenführer Shoko Ashara als Inkarnation eines "Shambhala-Kriegers" sah, Sexualtantra praktizierte, 100.000 Dollar für tibetische Flüchtlingshilfe spendete und sich mit dem Dalai Lama traf (vor dem Giftanschlag in Tokio!), berechtigt noch nicht zu der Feststellung, dass dieser Ashara "direkt in die Geheimnisse seiner 'politischen Mystik' eingeweiht hat." (690) Unverständlich bleibt auch, warum der amerikanische Multimillionär John du Pont erwähnt wird, der 1996 auf offener Strasse den Olympiasieger David Schultz erschoss und kundtat, er sei der "Dalai Lama" und das "Oberhaupt einer weltweiten buddhistischen Kirche" (691)? Hier wird mit unlauteren Suggestionen und nebulösen Assoziationsketten gearbeitet, vielleicht auch aus Wut darüber, letztlich doch nicht an den "Kern" des zu Kritisierenden heranzukommen. Möglicherweise sind auch (uneingestandene) Gefühle persönlicher Abrechnung mit im Spiel, die die Qualität des sonst so wichtigen Buches leider trüben.



Braucht der Westen den Buddhismus?
Zu den einflussreichsten und wortgewaltigsten Propagandisten des tibetischen Buddhismus gehört der Amerikaner Robert Thurman (Bild), übrigens Vater der erfolgreichen Hollywood-Schauspielerin Uma Thurman ("Pulp fiction"). Er liebt es, von der "coolen Revolution des Buddhismus" zu sprechen, in dem für ihn Werte wie Individualismus, Pazifismus, Ökologie etc. zum Ausdruck kämen, ja er geht sogar soweit, die grossen tibetischen Gelehrten der letzten Jahrhunderte für bedeutender als ihre europäischen Kollegen zu halten. Hume, Kant, Nietzsche, Wittgenstein, Hegel, Heidegger - so der effektive Werbestratege des Dalai Lama - würden sich später einmal als Linienhalter der grossen Bodhisattvas erweisen. Amerikanische Halbbildung, Neid gegenüber dem kulturell älteren Europa oder provokativer Schachzug eines cleveren Marketing-Strategen? Tatsache ist jedoch, dass nicht nur Hunderttausende (in Amerika sogar Millionen) von Menschen sich der Spiritualität Tibets mit Faszination zuwenden, sondern auch Wissenschaftler wie der Atomphysiker Carl Friedrich von Weizsäcker oder der Evolutionstheoretiker Ken Wilber, der den tibetischen Buddhismus für das "umfassendste und vollständigste System der Welt" hält. (Schatten 765)

Es sei immer wieder erstaunlich, so auch die Trimondis, wieviele gestandene Gelehrte des Westens sich in unkritischer Begeisterung für den Dalai Lama und sein wissenschaftliches Halbwissen begeistern würden, ja oft liefen Konferenzen darauf hinaus, die neuesten Erkenntnisse Europas und Amerikas alle schon im Buddhismus vorzufinden.

Gegen diese Mischung aus Mode, Devotion, Naivität und Uninformiertheit mögen ein paar Gedanken von C.G.Jung und Rudolf Steiner helfen, die sich mit dem Problem der Adaption östlicher Weisheiten grundlegend beschäftigt haben. Denn vielleicht muss man bei diesem Thema noch tiefer gehen, als es eine Aufzählung von frauenfeindlichen, undemokratischen und dämonologischen Aspekten hergeben kann, die gleichwohl als Materialsammlung wichtig ist. Jung und Steiner hegten zeitlebens grosse Wertschätzung z.B. gegenüber dem Hinduismus und Buddhismus, warnten jedoch gleichzeitig immer vor einer blinden Übernahme dieser Lehren in den Westen. Zwar konzedierten beide, dass Asien sich bis heute eine ganzheitliche Weltsicht bewahrt habe, die im einseitig auf Rationalität und Technik fixierten Europa längst abhandengekommen sei. Doch sie forderten dazu auf, eigene philosophische und spirituelle Traditionen zu reaktivieren, um diese Wunde wieder von innen zu heilen: "Es scheint mir, dass wir wirklich etwas vom Osten gelernt haben, wenn wir verstehen, dass die Seele genug Reichtümer enthält, ohne dass sie von aussen befruchtet werden muss." (C.G.Jung: Gesammelte Werke, Solothurn und Düsseldorf 1995, Bd.11, 485)

Jung hatte zwar nichts dagegen, z.B. Yoga-Übungen als "Hygiene" zuzulassen, war aber gegenüber der asiatischen Lehre der Ich-Überwindung äusserst skeptisch eingestellt. Der Europäer, der sich seiner Meinung nach noch gar nicht mit den Untiefen seines Ichs auseinandergesetzt hatte, sollte nicht wegwerfen, was er überhaupt noch nicht besass. Für Jung war Europa, anders als der Osten, durch eine weitgehend übergestülpte Christianisierung ein Kontinent der Abspaltung und Verdrängung geworden. Man habe den "heidnischen Barbaren" lediglich in ein dunkles Verlies gesperrt, um darüber eine glänzende Welt von "Kultur", "Rationalität" und "Moral" zu errichten, die aber auf schwankenden Füssen stünde.

Hexenjagd, Inquisition, nationalistische Obsessionen, Kriege und kolonialistischer Grössenwahn waren für Jung Beispiele dafür, wie sich der eingesperrte "Barbar" - das unintegrierte Irrationale, Unbewusste, auch Dämonische - immer wieder aus seinem Keller zurückmeldete und alle gloriosen Errungenschaften wie "Vernunft", "Bewusstsein" oder "Ichstärke" ad absurdum führte. Solange dieses so sei, könne man nicht einfach durch fernöstliche Atemübungen die "Entleerung" des Subjektes vorantreiben, sondern müsste erstmal eines schaffen, das seinen Namen auch wirklich verdient. Dies sollte jedoch über Denken und Bewusstheit geschehen, da der Westen diesbezüglich hochdifferenzierte Traditionen besässe, die nicht einfach durch Tranceerfahrungen oder Guruhörigkeit abzulösen seien: "Der Osten kam zur Erkenntnis innerer Dinge mit einer kindlichen Unkenntnis der Welt. Wir dagegen werden die Psyche und ihre Tiefe erforschen, unterstützt von einem ungeheuer ausgedehnten historischen und naturwissenschaftlichen Wissen." (Ges.Werke 13, 51)

Auch könnten - richtig verstandene - Werte der eigenen Religion dabei eine grosse Rolle spielen: "Der Westen wird im Laufe der Jahrhunderte seinen eigenen Yoga hervorbringen, und zwar auf der durch das Christentum geschaffenen Basis." (11, 539) Was Jung damit meint, macht er an einer anderen Stelle deutlich: "Erst auf der Basis einer solchen Einstellung, die auf keine in der christlichen Entwicklung erworbenen Werte verzichtet, sondern im Gegenteil mit christlicher Liebe und Langmut sich auch des Geringsten in der eigenen Natur annimmt, wird eine höhere Stufe von Bewusstsein und Kultur möglich werden." (13,55) Dazu bräuchte man nicht unbedingt östliche Techniken, sondern einfach die Besinnung auf Verstecktes und Verlorenes in der eigenen Tradition: Für Jung zählten dazu auch die Alchemie, die Gralsgeschichten des Mittelalters sowie die Lehren der deutschen Mystiker (Jakob Böhme, Meister Eckhart etc.), die übrigens auch das Mandala-Symbol verwendeten. Ebenso die von ihm erarbeitete Technik der "aktiven Imagination", mit der man - bei klarem Bewusstsein - in die Bilderflut sowohl des persönlichen als auch kollektiven Unbewussten hinabtauchen könne. Die Unterscheidung dieser beiden Ebenen war für Jung von grösster Bedeutung: Bevor man nicht die "Macken" der eigenen Biographie aufgearbeitet habe, dürfe man nicht in überpersönlich-metaphysische Welten abheben. Wer dies tue - und für Jung zählten viele Asienschwärmer dazu - drücke sich nur um sein eigene "dunkle Ecke" herum (11, 573).

Ganz ähnlich argumentierte der Begründer der Anthroposophie, Rudolf Steiner, der in seinen Anfangsjahren noch Anhänger der vom Orient faszinierten "Theosophischen Gesellschaft" war, die er aber bald wieder verliess. Auch für ihn, der sich intensiv z.B. mit Goethe und dem deutschen Idealismus auseinandergesetzt hatte, war eine einfache Übernahme östlicher Weisheiten undenkbar, zumal sie Dinge voraussetzten, die im Westen längst überwunden waren, z.B. die Anbetung von spirituellen Meistern oder hellsichtig-somnambule Tranceerfahrungen, die das Ich abdämpften statt zu stärken. Bei allem Respekt vor den Hochkulturen Asiens war deren Philosophie für Steiner doch eher etwas Anachronistisches, das sich mit seiner Auffassung von Evolution nicht vertrug.

Denn in der geistigen Geschichte des Westens - so Steiner - habe man sich richtigerweise immer mehr der materiellen Welt zugewandt, um Naturwissenschaften und Ichstärke zu entwickeln, beides höchstwichtige Elemente für folgerichtiges Denken und Handeln aus Freiheit. Daher sei es unzulässig, das irdisch-stoffliche Leben - wie im Orient üblich - als Verursacher von Leiden zu diffamieren und per Meditation in die Leere des Nirwana zu flüchten. Nicht sollten Ich und Denken abgeschafft werden, sondern sich zu mehr Kraft und Wahrnehmungsschärfe steigern, um illusionäre Aspekte der Realität zu durchstossen und zu tieferen, auch ganzheitlicheren Ebenen zu gelangen. Steiner sah daher z.B. im Buddhismus ein eher statisch-unhistorisches als dynamisch-entwicklungsbetontes Weltbild, das in früheren Zeiten wohl einmal funktioniert hatte, aber für die westliche Moderne nicht zu adaptieren war.

Zudem habe in Europa das Christus-Ereignis stattgefunden, das einen völlig anderen Gottesbegriff als den des Buddhismus einführte: Hier lächelte kein über den irdischen Abgründen thronender Buddha, sondern begab sich eine hohe Wesenheit mitten ins Leben der Menschen hinein, um deren Stofflichkeit, Zerrissenheit und Schmerz zu teilen. Dies war ein Jasagen zu Materie, Leid und individueller Existenz, nicht deren Verleugnung im Namen einer vermeintlich reinen Leerheit. Dieser "Christus-Impuls" war für Steiner ein wichtiger und nicht mehr rückgängig zu machender Entwicklungsschritt, auch wenn er die Exzesse und Grausamkeiten der abendländischen Kirchengeschichte aufs schärfste verurteilte (siehe dazu auch meinen Steiner-Essay in Atalante 5). Insofern gibt es hier auch interessante Berührungen zu C.G.Jung, der ja ebenfalls für den Westen eine Bewusstseinssteigerung durch historische, naturwissenschaftliche und christliche Errungenschaften fordert.

Steiner hegte Skepsis gegenüber den in asiatischen Religionen verbreiteten Atemübungen: Ihnen läge die in früheren Zeiten einmal gültig gewesene Auffassung zugrunde, dass der Mensch durch das Einatmen auch das Geistig-Beseelte der Aussenwelt in sich aufnehmen und sich zu neuer Einheit mit diesem verbinden könne. Längst aber sei die Verbindung zwischen Ich und Natur, menschlichem Geist und Kosmos zerfallen, was der Orient jedoch nicht wahrhaben wolle. Nun gelte es, sich auf neuen Wegen dem Geistig-Beseelten in Aussenwelt und Natur zu nähern, wobei die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Abendlandes von grosser Bedeutung seien. Der Westen, der hinter solche Errungenschaften nicht zurückfallen dürfe, müsse einen "neuen Jogawillen" ausbilden, eine neue Art des Pulsierens zwischen Innen und Aussen, die aber mehr mit Erkenntnis als mit Atmen zu tun habe. Das Denken müsse durch spezielle Übungen so verlebendigt werden, dass es hinter der äusseren Fassade der Dinge auch die geistigen Energien wieder wahrnehmen könne, etwa Formbildungsprozesse in der Natur oder karmische Gesetzmässigkeiten im menschlichen Lebenslauf. So entstünde eine neue Verbindung zwischen Einzelseele und "Weltseele", Ich und Natur, Geist und Kosmos, Innen und Aussen - quasi ein denkerischer Atemprozess auf höherer Stufe, der nicht in bewusstseinsmässig herabgedämpfte Stadien der Vergangenheit zurückfiele, sondern alle Errungenschaften des neuzeitlich wachen Ichs beibehielte.
(Steiner: Die Sendung Michaels, Dornach 1997, 105ff).
Aus einem solchen Denken heraus entwickelte die Geisteswissenschaft Steiners denn auch ökologische, kosmologische und heilkundliche Anschauungen, die wiederum fernöstlichen Lehren sehr nahekommen, aber gleichwohl immer auf europäisch naturwissenschaftlicher Basis stehen. Steiner glaubte wohl auch an Eingebungen durch "Götter" und "hohe geistige Wesenheiten", ja sprach gelegentlich sogar von "Hellsichtigkeit" und "übersinnlicher Erkenntnis". Aber er versuchte zeitlebens, solche Inspirationen mit der Empirie zu verbinden und durch das klare nachvollziehbare Denken laufen zu lassen. Dadurch - so sein Argument - wären bestimmte Negativerscheinungen östlicher Systeme wie Autoritätsgläubigkeit, okkulte Manipulationen, Ichschwächung etc. unmöglich. Wenngleich solche Dinge in den anthroposophischen Kreisen dennoch vorkommen, so sind dies eher menschliche Schwächen als Konsequenzen aus Steiners Lehre, die sich immer wieder scharf gegen Hörigkeit, mechanisches Nachbeten oder die unkritische Rezeption medialer Botschaften wehrt (siehe hierzu auch Gerhard Wehr: C.G.Jung und Rudolf Steiner, Zürich 1990, 193ff)

Leider erwähnen die Trimondis solche Argumentationsfiguren in ihrem Buch kaum, obgleich sie dadurch noch tiefere Kritikansätze hätten einarbeiten können. Trotzdem schliessen sie mit einer wichtigen und richtigen Feststellung, die auch Jung und Steiner geteilt hätten:

"Nicht dadurch, dass der Westen die Macht der Mythen leugnet, kann er sie überwinden. Er selber hat deren ungebrochene und gewaltige Präsenz auch in unserem Jahrhundert erleben müssen ... Nur wenn aufklärerisch orientierte Denker einen Einstieg in die Zentren der religiösen Kultmysterien wagen, und bereit sind, sich mit dem innersten Kern dieser Mysterien auseinanderzusetzen, wird es zu einer Entschärfung der 'religiösen Zeitbomben' kommen ... So absurd es klingen mag, der 'westliche Rationalismus' ist im eigentlichen Sinne die Ursache für den Okkultismus. Er drängt die esoterischen Lehren und ihre Praktiken ... in den gesellschaftlichen Untergrund, wo sie sich ungestört und hemmungslos ausbreiten können - bis sie dann eines Tages ... mit ungeheurer Gewalt hervorbrechen und die ganze Gesellschaft in ihren atavistischen Sog mit hineinziehen. Auf der anderen Seite macht der 'kritische Abstieg' in die Mysterienkulte der religiösen Traditionen wertvolle Lernprozesse möglich. Wir wollten ja mit unserer Analayse des buddhistischen Tantrismus nicht zu dem Schluss gelangen, dass alles an den traditionellen Religionen (im speziellen Fall am Buddhismus) zu verwerfen sei. Viele religiöse Lehrinhalte, viele Gesinnungen, Praktiken und Visionen scheinen bei der Errichtung einer friedvollen Weltengemeinschaft durchaus als wertvoll und sind sogar notwendig. Auch wir vertreten die Meinung, dass die 'Aufklärung' und der westliche 'Rationalismus' nicht mehr allein die Kraft haben, die Welt sinnvoll zu interpretieren, und schon gar nicht, sie zu verändern. Der Mensch lebt nicht vom Verstand allein! Die Welt des kommenden Jahrtausends ist deswegen unserer Sicht nach nicht zu entmythologisieren (nicht zu entzaubern oder zu re-rationalisieren), sondern der Mensch hat die Kraft, das Recht und die Verantwortung, die bestehenden Mythen, Mysterien und Religionen einem kritischen Untersuchungs- und Selektionsverfahren zu unterziehen." (792)